Gehörtraining: Lernen Sie aufs Neue zu Hören

Wann waren Sie das letzte Mal im Fitnessstudio? Ungeachtet, wie die Antwort ausfallen mag, wissen wir wahrscheinlich alle, wie schnell Muskelmasse verloren gehen kann und wie schwer es ist, sie wieder aufzubauen. Das Gehirn ist wie ein Muskel. Die Hirnareale, die wir besonders oft gebrauchen, verfügen über eine besonders gut ausgeprägte Struktur an Nervenzellen. Bei Personen mit Hörverlust werden bestimmte Höreindrücke und Frequenzen nicht mehr an das Gehirn weitergeleitet. Die dafür zuständigen Hirnareale bilden sich zurück. Doch mittels gezieltem Gehörtraining können sie wieder aufgebaut werden. Hier geht es nicht um Bodybuilding, sondern um Gehörbildung.

Hörgeräteträger erhält ein Gehörtraining beim Hörgeräteakustiker

Das Prinzip des Gehörtrainings

Viele Träger und Trägerinnen neuer Hörgeräte fühlen sich von den vielen Höreindrücken erschlagen, die sie nun wieder wahrnehmen können: Vogelgezwitscher, Lautsprecherdurchsagen, Straßengeräusche und selbst Musik. All das ist wieder präsent. Besonders gesprochene Sprache an belebten Orten stellt eine große Herausforderung dar. So sagen viele, dass sie zwar das Gesagte lauter wahrnehmen können, doch verstehen sie es nicht unbedingt besser. Genau hier wird deutlich, wie wichtig kontinuierliches Gehörtraining für unser Hörverständnis ist. Hören will gelernt sein.

Das ist ungefähr so, als ob Sie aufgrund eines Knochenbruchs für längere Zeit einen Gips getragen haben. Wenn der Gips abgenommen wird, können Sie den Arm nicht sofort genauso belasten wie den gesunden Arm. Das Training, etwa mit Hanteln, wird sie mit diesem Arm mehr anstrengen. Sie müssen ihn mit viel Geduld schrittweise zur vorherigen Leistungsfähigkeit zurückführen. Wie funktioniert das nun mit dem Gehör und der Gehörbildung?

Der erste Schritt: den Hörverlust ausgleichen

Zunächst müssen wir die Ursache für den Abbau der Nervenzellen beseitigen. Ein Hörgerät hilft Ihnen, die erste Hürde dafür zu überwinden, denn es sorgt dafür, dass Schallwellen vom Ohr wieder weitergeleitet werden. Ihr Hörgeräteakustiker hilft Ihnen dabei, ein passendes Hörgerät zu finden. Haben Sie sich für ein Modell entschieden und ist es für Sie angepasst worden, kann das eigentliche Training beginnen.

Der zweite Schritt: ein Trainingsplan

Junge Frau unterhält sich zwanglos in einem Kaffeehaus
Dank zielgerichtetem Gehörtraining können Sie zurückgewonnene Höreindrücke wieder verarbeiten. © stock.adobe.com / #189041283 / Yakobchuk Olena

Der Hörakustiker oder die Hörakustikerin ist Ihr Trainingspartner/Ihre Trainingspartnerin. Er/Sie erstellt Ihr individuelles Hörprofil und legt gemeinsam mit Ihnen realistische Trainingsziele fest. Bei jeder Trainingseinheit werden verschiedene Höranforderungen trainiert. Einige Einheiten befassen sich speziell mit dem Verstehen von Sprache. Dabei trainieren Sie das selektive Hören, das es Ihnen ermöglicht, sich auch in einem Raum voller Menschen komplett auf Ihr Gegenüber zu konzentrieren. Gerade dieser Aspekt wird von vielen Hörgerätetragenden zu Beginn als besonders anstrengend empfunden. Doch keine Sorge: Mit jedem Training spüren Sie deutliche Fortschritte.

Doch das Gehörtraining begrenzt sich nicht nur auf das Verstehen von Sprache. Da wir pausenlos Höreindrücken ausgesetzt sind, werden beim Gehörtraining verschiedene Aspekte des Hörens geübt. Zunächst werden Synapsen aufgebaut, die für die Geräuscherkennung wichtig sind. Von dieser leichten Übung ausgehend wird der Schwierigkeitsgrad langsam gesteigert und es werden immer komplexere Hörvorgänge trainiert, zum Beispiel, aus welcher Richtung ein Geräusch kommt. Die langsame Steigerung des Trainingsanspruches hat das Ziel, Ihr Hörvermögen nachhaltig aufzubauen. Die eben erwähnte selektive Wahrnehmung von Klängen und Geräuschen bildet damit die letzte Trainingsstufe.

Wie lange dauert ein Gehörtraining?

Wichtige Kompetenzen wie das Verstehen und Filtern von Sprache aus Umgebungsgeräuschen wieder zu stärken, erfordert Ausdauer. Das können Sie sich wie eine Reha vorstellen: Jeder Patient/jede Patientin spricht unterschiedlich auf die verschiedenen Rehabilitationsmaßnahmen an. Mit dem Hören ist es nicht anders. Daher können wir Ihnen keinen Zeitpunkt nennen, an dem Ihr Gehör optimal an die neue Hörsituation angepasst ist. Bei vielen Hörgeräteträgern wurde allerdings nach einigen Monaten eine deutliche Verbesserung der Kommunikationsfähigkeit festgestellt. Es fällt dann wieder leichter, Hörsituationen einzuordnen.

Stellen Sie sich vor, sie fahren für einen längeren Zeitraum kein Auto, vielleicht für einige Monate oder sogar Jahre. Sitzen Sie dann wieder hinter dem Steuer, benötigen Sie wahrscheinlich eine gewisse Zeit, um sich wieder an das Fahren zu gewöhnen. Doch mit ein bisschen Übung werden Sie wieder sicherer und können Verkehrssituationen wieder besser einschätzen. Genauso verhält es sich mit dem Gehör. Mit ein bisschen Übung und Gehörbildung werden Sie dank Ihres Hörgeräts Ihr Hörvermögen wieder gut nutzen können.

Demenzrisiko effektiv senken – dank Gehörtraining

Allein durch das Verwenden eines Hörgeräts kann dieser rasante Abbau von geistigen Fähigkeiten drastisch verlangsamt werden.

Durch Schwerhörigkeit schrumpft das Gehirn.  In einem gesunden Gehör wandeln Haarzellen die durch Schallwellen erzeugten mechanischen Reize in elektrische Impulse um. Vom Innenohr werden sie dann über die Nervenbahnen an das Gehirn weitergeleitet. Fallen diese Höreindrücke jedoch weg, wird das Gehirn stark dadurch belastet, dass es fehlende Informationen ausgleichen muss. Außerdem gehen durch einen Hörverlust auch soziale Kompetenzen verloren. Soziale Anlässe, Partys oder Konzerte sind mit einem hohen Kraftaufwand für jemanden mit geringem Hörvermögen verbunden.

Allein durch das Verwenden eines Hörgeräts kann dieser rasante Abbau von geistigen Fähigkeiten drastisch verlangsamt werden. Ihr Gehirn erstarkt, Ihre sozialen Fähigkeiten werden herausgefordert und Sie trauen sich wieder unter Leute. Gehörtraining ist das neue Gehirnjogging.

Sichern Sie Ihre Trainingsergebnisse

Damit sich all die Mühe lohnt, müssen Sie regelmäßig trainieren. Für Ihr Gehör bedeutet das, Ihr Hörgerät auch tatsächlich täglich zu nutzen, sonst wäre all die Mühe vergeblich und die gerade mühevoll wieder aufgebauten Gehirnareale würden erneut verkümmern. Doch hartes Training ist es immer wert. Es wird Ihnen immer leichter fallen, mit anderen zu kommunizieren. Es werden weniger Missverständnisse aufkommen. Ihr Alltag wird dadurch erleichtert und das Gehörtraining kommt nicht nur Ihrem Hörvermögen zugute. Ihre Konzentrationsfähigkeit wird sich auch verbessern. Just do it.